Beutemacher

Mike verdödelt seine Tage als Fahrer einer Großküche. Als er ein Mädel im Laderaum seines Transporters entdeckt, kommt unerwartet reichlich Thermik in sein eigentlich ruhiges Leben. Nika braucht dringend ein Versteck. Vor wem und warum ist erst mal nicht wichtig, denn natürlich hilft er sofort. Auch weil Nina ziemlich gut aussieht.

Und damit beginnt eine ziemlich schräge und rasante Geschichte voller »schneller Schnitte, fast surrealistischen Bildern, großen Gefühlen und lakonischem Witz« — so die Badischen Neuesten Nachrichten …

Der Roman erschien erstmals 1998 im Eichborn Verlag unter dem gleichen Titel. Das Originalmanuskript wurde für diese Ausgabe vollständig überarbeitet.

Rolf Silber
BEUTEMACHER
ca. 263 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-945684-08-5

INTERVIEW

zu »BEUTEMACHER«

Was war damals, in den 90ern, die Motivation sich diesen Stoff auszudenken?

Den Roman hatte ich in der Zeit, als wir den Kinofilm ECHTE KERLE ins Kino gebracht hatten, als eine erzählerische Fingerübung begonnen, zunächst ohne konkreten Plan, ob sie eher zum einen oder zum anderen Medium passt. Die Idee: Eine realistisch-absurde Krimi-Komödie in Frankfurt am Main, Mitte der 90er als einen weiteren Versuch, das elende Schisma zwischen E und U in der deutschen Erzählkultur ein wenig zu überbrücken. Naja, und vielleicht sich die Stadt mit den Augen eines Nick Hornby oder Danny Boyle anzuschauen. Klingt merkwürdig, aber atmosphärisch so was wie „About a boy“ meets „Trainspotting“. Eine Großstadtgeschichte. Mit einer großen Portion ruppiger Zuneigung, gepaart mit gelegentlichem bösartigem und stellenweise blutigem Humor. Mir waren hierzulande nur wenige Autoren, die so was ernsthaft-komisch versucht hätten, bekannt – Jakob Arjouni und Doris Dörrie etwa. Das hat etwas Mut gemacht.

Ich hatte einen groben Handlungsverlauf und ein paar szenische Versuche zusammengekritzelt. Dann kam allerdings unerwartet eine große, nicht ganz freiwillige Dreh- und Schreibpause für mich. Weil ein „Aneurisma de luxe“ im Zentralverteiler meines Gehirns mich für längere Zeit auf eine komplett andere Umlaufbahn schoss. Wo ich mich mit Hilfe meiner Frau, dem Pflegepersonal und der Ärzte wieder neu zusammenschrauben musste.

Ein Jahr später betrachtete ich das bis dato Gesammelte also mit fast neuen Augen und einem weitgehend reparierten Kopf. Und weil man in der Rekonvaleszenz speziell so einer Krankheit mit enorm offenen Ohren und fast schmerzhaft  genau schauenden Augen durch die Welt geht, war das eine ziemlich ideale Voraussetzung zur Recherche für eine Geschichte, die sich – neben der eigentlichen Handlung – ironisch zugespitzt mit der Realität meiner Heimatstadt auseinandersetzt. Ich kann diesen speziellen „Umweg“ für Schreibende allerdings nicht wirklich empfehlen.

Aber warum wurde daraus dann ein Roman und kein Film? Nach dem Erfolg von ECHTE KERLE hätte das doch nahegelegen? Oder gab es da Vorbehalte, wegen deiner Krankheitsgeschichte?

Naja, manchen Leute ging schon der Frack, weil sie wohl befürchteten, es nun mit einem Wrack zu tun zuhaben, das ihnen stilvoll auf den Schreibtisch sabbert. Wenn ich, bis heute, mit Patienten rede, die eine ähnliche Krankheitsgeschichte haben, stoßen wir auf die immer gleichen Vor- und Fehlurteile, selbst bei wohlmeinenden Menschen. Dass Verleiher oder Produzenten da nervös sind, konnte ich einerseits verstehen, andererseits hat es mich enorm wütend gemacht und meine Lust auf Kino ziemlich reduziert. Ich hatte ja gerade den Leuten mit ECHTE KERLE eine Menge Geld verdient. Und die machten sich in die Hose.

Allerdings hatte sich ja in der Zeit meiner Krankheit im deutschen Film noch dazu ganz Außerordentliches getan. Nachdem man gerade mit Komödien erfolgreich geworden war, beschloss man, deren Produktion weitgehend einzustellen. Und sich nun heroisch auf „deutsche Action“ zu stürzen. Was desaströs scheitern musste. Aber das wollte damals keiner hören. Also habe ich erst Mal als Drehbuchautor fürs TV gearbeitet und an diesem Roman. Die Disziplin, die man sich Drehbauchautor automatisch auferlegen muss, hilft da übrigens enorm. Man denkt von Hause aus struktureller und hat weniger für Befindlichkeiten übrig. Für die eigenen wie die der Figuren.

Ein Roman erlaubt natürlich, viel tiefer als es in einem Film möglich wäre, auf die Figuren, ihre Konflikte und in diesem Fall auch die sie begleitenden oder sie ausmachenden Absurditäten einzugehen. Man kann sich sein Ensemble viel freier, viel frecher zusammensetzen. Und man muss nicht den Anforderungen von Produzenten, Redakteuren oder Verleihern nachgeben, die – alle aus legitimen Gründen – meist nach dem nächsten, grössten, gemeinsamen Nenner suchen. Und dann zu schnell mal das Widerborstige, Schräge, Skurrile abgeschliffen wird. Einen Roman zu schreiben kostet außerdem, im Gegensatz zu Film, „nur“ Zeit und damit relativ weniger Geld. Soviel wie man zum Leben halt gerade braucht. Das macht frei aber, zugegeben, erstmal nicht wirklich reich.

Der Roman selbst wirkt ja auch eher wie ein Genre-Mix und er erzählt in Teilen aus vielen verschiedenen Perspektiven, während dein Erstling, HELTER SKELTER, einen klaren Erzähler hat …

… was mir für BEUTEMACHER zu einschränkend gewesen wäre. Der Versuch war, ihm definierte Erzählstränge und Perspektiven zu geben, ihm aber bisweilen die Freiheit einzuräumen, sich von den Hauptfiguren spielerisch wegzubewegen. Erzählerisch mal einen kleinen Falkenflug einzulegen, eine Pirouette zu drehen, sich Überblick zu verschaffen um sich dann wieder auf die eigentliche Erzählung zu stürzen. Oder kurze Pausen einzulegen um sich eine Nebenfigur genauer anzuschauen. Und dann geht’s weiter.

Einer der Hauptdarsteller des Buches ist ja das Bahnhofsviertel in Frankfurt, das mit seinen Puffs, Zuhältern und den Junkies weit über Frankfurt hinaus, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade den besten Ruf hat.

Das Bahnhofsviertel war und ist ja – und nicht immer völlig zu Unrecht – für viele Menschen etwas angstbesetzt. Diese Angst löst sich, wenn man das Viertel näher kennengelernt hat und weiß, wo seine wenigen Sumpflöcher sind. Ansonsten ist es das Bonsai-Soho von Frankfurt. Meine Frau hatte als Lektorin ihr Verlagsbüro mittendrin und man konnte von dort aus das Straßenleben ziemlich schön beobachten.

Es war und ist mit seinem Mix aus Kleingewerbe, Lebensmittelhandlungen, Kneipen, Puffs und Werbeagenturen das lebendigste Viertel der Stadt. Na gut – manchmal knallt es auch. Mitte der 90er begann es aber auch zu kochen, weil sich langsam Spekulanten seiner annahmen. Die Banken an seinem westlichen Ende fingen an sich ins Quartier zu fressen und die alten Milieus unter Druck setzten. Und Druck erzeugt Hitze. Konflikte waren vorprogrammiert.

Zudem war es Zeit für die Stadt, sich mal mit den Helden, den Versagern und den Verrätern ihrer alternativen politischen Geschichte auseinander zusetzen. Und das war dann öfter auch mal ziemlich fiebrig. Da fühlt man sich als Autor sofort wohl. Aber solche Geschichten waren weder im deutschen Film, geschweige denn im Fernsehen, unterzubringen.

Woher die Liebe zu Falken?

Die Tiere habe ich im Rahmen von Dreharbeiten kennengelernt. Ein Wanderfalke war einer unserer Hauptdarsteller. Seine Eleganz und Geschwindigkeit hat mich enorm fasziniert. Erstaunlicherweise bin ich den Tieren dann Jahre später wieder begegnet. Ausgerechnet in der Frankfurter Innenstadt, wo sie die Hochhäuser als Nistplätze entdeckt hatten. Und obendrein die Stadttauben als „Essen auf Flügeln“, das ihnen ziemlich direkt vor den Schnabel geliefert wird.

Damit waren sie für mich ein sich gerade stringent modernisierender Anachronismus, der sich den Luftraum wieder erobert. Da pocht ein Autorenherz sofort heftiger – lebendige und in diesem Fall sogar fliegende Widersprüche in Schriftbilder zu fassen macht einfach Spaß. Nicht mehr, nicht weniger.

Mehr von Rolf Silber: