Der Dschungel
Thomas Adcocks erster Roman um Neil Hockaday beginnt mit Drohbriefen an einen populären Harlemer Pastor, auf die schon bald eine Mordserie folgt. Zufall? Oder gibt es Zusammenhänge?
NYPD Detective Neil Hockadays Nachforschungen bewegen sich zwischen zwei Polen: auf der einen Seite ein skrupelloser Stadtplaner, auf der anderen die kleinen Leute aus dem alten New Yorker Stadtteil Hell’s Kitchen, die dem Wandel nicht entgehen können.
Ein Schauplatz des Romans ist der sogenannte Dschungel — eine Schlucht, eine alte, rund zehn Meter unter Straßennievau geführte Eisenbahntrasse.
Irgendwann Mitte der 1980er fiel Thomas Adcock auf, dass in Hell’s Kitchen häufig Obdachlose hinunter in die Schlucht dieser Eisenbahntrasse verschwanden. Er stellte sich eine ganze Kolonie von Obdachlosen vor, die irgendwo dort unten leben mussten…
Mit diesem Einfall im Kopf schrieb er »Sea of Green<«.
Nach Erscheinen des Romans in den USA kamen einige New Yorker Journalisten auf die Idee, doch tatsächlich einmal in diesen frei erfundenen Dschungel hinunterzusteigen und nachzuschauen, da er ihnen sehr wirklich und real erschien. Und was fanden sie? Die Realität! Anscheinend war das, was Adcock erfunden hatte – ein paar tausend Obdachlose, die in dieser Eisenbahnschlucht lebten und von dem Philosophen Lionel angeführt wurden – die Wirklichkeit!
Der Dschungel wurde bereits vor Jahrzehnten unter großem medialen Trara von der Stadt mit Hilfe der Polizei „gesäubert“ – von wucherndem Unkraut, von Gestrüpp … und von den Obdachlosen!
Ob Ähnlichkeiten zwischen dem fiktiven Stadtplaner Daniel Prescott und einem aktuellen Präsidentschaftskandidaten der amerikanischen Republikaner bestehen, bleibt dem Leser überlassen!
Der Roman erschien 1993 im Schweizer Haffmans Verlag unter dem Titel Hell’s Kitchen als deutsche Erstausgabe von »Sea of Green« (1989, The Mysterious Press, New York). Das Originalmanuskript wurde für die spraybooks-Ausgabe vollständig überarbeitet.
Thomas Adock
DER DSCHUNGEL
[Sea of Green]
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
ca. 403 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-945684-14-6
Wieder aktuell
Vor rund 25 Jahren habe ich für diesen Roman einen kleinen Bösewicht namens Daniel Prescott erfunden. Mr. Prescott, ein schäbig-schmieriger New Yorker Spielkasino-Magnat und Sprücheklopfer war einem tatsächlich lebenden, schmierigen New Yorker Spielkasino-Magnat und Sprücheklopfer nachempfunden. Sein Name: Donald Trump.
Als der Roman damals in den Vereinigten Staaten erschien, hoffte ich, Mr. Trump würde mich verklagen, weil ich seinen guten Namen verunglimpft und seinen tadellosen Charakter mit despektierlichen Verdrehungen besudelt hätte. Dies im Hinterkopf wurde mein Buch im Rahmen einer Open Air–Buchmesse an einem Verkaufsstand direkt gegenüber des Eingangs zu Mr. Trumps Wohnsitz 725 Fifth Avenue in großer Zahl und wirklich unübersehbar ausgestellt. Das Haus, ein äußerst geschmackloses Bauwerk zwischen ansonsten eher eleganten Gebäuden entlang dieser weltberühmten Straße, ist ein achtundsechzig Stockwerke hoher Wolkenkratzer aus Chrom und Glas. „The Donald“, so nennen wir New Yorker ihn, hielt es für angezeigt, diese Monstrosität schlicht Trump Tower zu taufen. Sein gigantisches 60–Zimmer–Penthouse belegt die tippi-toppi Spitze von besagtem Trump Tower.
Eine Klage wäre für die sensationslüsterne New Yorker Boulevardpresse ein gefundenes Fressen gewesen, und für mich hätte die Gratis-Publicity einen äußerst willkommenen Effekt auf die Auflagenhöhe meines Buches gehabt. Doch leider leider wich Mr. Trump von seiner fast schon traditionellen Angewohnheit ab und beschloss, mich nicht zu verklagen. Die von ihm beauftragten Anwälte, die freche Schreiberlinge wie mich über die Jahre mit zahllosen Klagen überzogen hatten, haben ihre Verfahren ausnahmslos verloren; ungeachtet dessen haben sie natürlich stets ein hübsches Honorar kassiert. Warum dann also all diese juristischen Luftnummern?
Donald Trump ist – was wirklich jedem auf dieser Welt völlig klar ist – eine Person von großem öffentlichem Interesse. Und in Amerika sind Personen des öffentlichen Lebens immer auch beliebte Zielscheiben für Spott und beißende Satire.
Wie es der Verfassungsrechtler und Harvard Law School-Absolvent Jeffrey Toobin im öffentlichen amerikanischen Fernsehen erläuterte: „Ich, Jeffrey Toobin, verkünde, dass Donald Trump ein absoluter Vollpfosten ist und auch immer ein absoluter Vollpfosten bleiben wird. Möglicherweise verklagt mich Mr. Trump jetzt. Er wird, natürlich völlig zu Recht, argumentieren, dass er weder im wörtlichen noch übertragenen Sinn einem Pfosten ähnelt oder einen solchen verkörpert. Seine Argumentation wird allerdings keine Rolle spielen, er wird die Klage gegen mich verlieren. Denn in diesem Fall genieße ich und nicht eine aggressiv auftretende Person des öffentlichen Lebens wie Donald Trump den vollen Schutz des ersten Zusatzartikels der Verfassung der Vereinigten Staaten.“
Seit meiner Daniel Prescott-Parodie ist Donald Trump mit einer ganzen Reihe seiner Kasinos pleite gegangen, hat zwei unschöne Scheidungen hinter sich gebracht, von denen die Boulevardpresse total begeistert war, hat Ausbeuterbetriebe in China mit der Produktion einer Kollektion ausgesprochen hässlicher Krawatten und eines scheußlichen Herrenduftes beauftragt sowie im In- und Ausland Natur vernichtet für das, was er für ein übergeordnetes Wohl hält: Golfplätze für vulgäre und geschmacklose Millionäre.
Während ich hier sitze und dies schreibe, etabliert sich The Donald als führender Bewerber um das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten bei den anstehenden Wahlen; er ist die große weiße Hoffnung aller frömmlerischen Eiferer und Waffenfanatiker. Bei seiner Wahlkampftour beleidigt er fortgesetzt Latinos, Frauen, Afroamerikaner und Moslems. Seine Bodyguards haben handgreiflich Journalisten von seinen Wahlkampfauftritten entfernt. Sein Rassismus und faschistisches Gebaren bewirken, dass er weltweit in den Medien mit Adolf Hitler verglichen wird — ein Vergleich, wie Mr. Trump sagt, der ihn nicht die Bohne kümmert.
So sehr wäre mein Daniel Prescott niemals entgleist.
Thomas Adock, New York City im Januar 2016